Faust
begibt sich im Kapitel „Vor dem Tor“ mit Wagner auf einen
Osterspaziergang. Meiner Meinung nach ist dieses Kapitel sehr
wichtig, um zu verstehen, warum Faust an einer derartigen
Zerrissenheit leidet.
Faust,
der an sich eigentlich sehr vergnügt war, da vor dem Tor viele Leute
unterwegs waren, die vergnügt spazierten, als er mit Wagner so durch
die Landschaft streunert („ Hier bin ich Mensch, hier darf ich's
sein“, V. 940), begegnet dem einfachen Volk (Bauern und armen
Leuten) und wird von diesen als Arzt bezeichnet. Als Faust dieses
hört, erweckt dies in ihm ein Schuldgefühl aus seiner
Vergangenheit. Er und sein Vater, welcher auch Wissenschaftler war,
haben zur Zeit der Pest eine Medizin entwickelt, die die Infizierten
jedoch nicht geheilt hat, sondern noch schneller umgebracht hat. Als
die Fremden ihn nun fälschlicher Weise als Arzt warnahmen und ihn
auch so ansprachen, schoss diese alte Erinnerung in Faust hoch. Er
kann nicht als Arzt bezeichnet werden, wenn er doch Menschen
umgebracht wie sein Vater auch. Faust fühlt sich als Sohn eines
Mörders (V. 1055).
Ich
vermute, dass Faust wegen diesem Fehlers so starke Schuldgefühle
hat, dass er versucht ihn mit der Wissenschaft wieder geradezubiegen.
Er hatte versagt, seine Kenntnisse waren nicht fortgeschritten genug,
um den an Pest erkrankten Leuten zu helfen und nun flieht er in die
Wissenschaft, um als dieses Unwissen zu erlangen und strebt nach der
totalen Erkenntnis.
Als
ich das Kapitel gelesen habe, kam mir schon ziemlich zum Anfang die
Idee, das diese Szene bestimmt schon das eine oder andere Mal
künstlerisch umgesetzt wurde, da sie ein Motiv bietet, dass sich gut
darstellen lässt. Es gibt viele Menschen und Wagner und Faust im
Mittel, sie werden von einer wundervollen Landschaft umgeben,
befinden sich aber noch in der Nähe des Stadttores. So habe ich
begonnen im Internet zu recherchieren und bin bei diesem Bild hängen
geblieben:
http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/db/wiss/goethe/faust_szenen/osterspaziergang/Broch_Osterspaziergang_Bunte_Reihe-57__782x500_.jpg
Es
hat mir von der Aufmachung sofort gefallen, da es sehr genau meinen
Vorstellungen entsprach und auch das Verhältnis von Faust zu anderen
Mitbürgern sehr treffend darstellt. Faust und Wagner befinden sich
entfernt und abgegrenzt von der Menschenmenge. Dies verdeutlicht den
Konflikt von Faust selbst, dass er sich weder den Menschen noch den
Göttern richtig zuordnen kann. Er wird wie ein Heiliger von den
anderen betrachtet, da er mehr weiß und ihnen wie ein überweltliches
Genie vorkommt, deswegen tratschen sie auch über ihn mit
vorgehaltener Hand.Auch die Kleidung unterstreicht diesen Kontrast
zwischen Faust und dem Volk. Faust trägt einen prunkvollen,
burgunderfarbenen Mantel, wohingegen die Menschenmenge schlichte
Kleider trägt. Sie sind zwar auch farbenfroh, aber dennoch nicht
derartig elegant wie die des Fausts.
Aich
im weiteren Verlauf des Osterspaziergangs von Faust und Wagner wird
das Bekommen von Faust deutlich.
Er
selbst leidet unter seinem Drang nach Wissen. Er muss sich alles
erklären können und kann mit anderen nicht weltlichen Dingen nichts
anfangen, da er sich selbst im Weg steht, da er diese Dinge, wie zum
Beispiel Religion, nicht erklären und somit nicht verstehen kann.
Faust leidet somit unter seiner eigenen Begrenztheit, die er sich
aber selbst zufügt ( "O glücklich, wer noch hoffen kann, aus
diesem Meer des Irrtums aufzutauchen! Was man nicht weiß, das eben
brauchte man, Und was man weiß, kann man nicht brauchen.", (V.
1064–1067). Er selbst ist zu rational, um sich der Religion
anzunehmen, möchte aber selbst gerne so selbstlos und frei sein,
dieses zu können.
Damit
besteht die Funktion der Szene "Vor dem Tor" aus meiner
Sicht gesehen darin, dass Faust seine Probleme von einer Meterebene
aus betrachtet und so einen Grund für seine Zerrissenheit und für
seine Hoffnungslosigkeit liefert. Dies dient dazu, dass man als Leser
den Konflikt, der sich in Faust abspielt, besser nachvollziehen kann
und überhaupt weiß, mit welchen Fragen sich Faust quält.